?>
Home » Blog » Es ging um die Wurst! – von den Hamburger Sülzeunruhen

Es ging um die Wurst! – von den Hamburger Sülzeunruhen

07.06.2021

Als leidenschaftliche Stadtführerin kulinarischer Touren kommt eine bekennende Geschichtensammlerin wie Guru Antje natürlich nicht um die ein oder andere kulinarische Geschichte.

Um so spannender, wenn sich eben jene Themen rund um Nahrung mit großer Historie verbinden, wie in folgender Geschichte:

Lebensmittelskandale sind heute keine Seltenheit, allerdings enden sie im Besten Falle vor Gericht und in strengeren Lebensmittelkontrollen. 1919 aber ging es in Hamburg im wahrsten Sinne um die Wurst!

Gehen wir zurück in das Jahr 1919. Die junge Republik litt auch in Hamburg unter großen politischen Spannungen. Wirtschaftliche Not, das Trauma des Krieges und die Ereignisse der Novemberrevolution, Hunger und Spanische Grippe überschatteten in den Tagen des Jahres häufig die wiedergewonnene friedliche Normalität. So kam es in den letzten Junitagen 1919 zu einem Aufstand, der nachhaltig in die Hamburger Geschichte als „Sülzeunruhen“ einging.

Am 23. Juni 1919 brach vor den Augen Umherstehender vor den Toren der Fleischwarenfabrik Heil ein Fass mit furchtbar stinkenden Kadavern auf. Das Entsetzen war groß und machte in Hamburg schnell die Runde. Insbesondere, da die Fleischwarenfabrik Heil noch kurz zuvor die Gerberei Heil war und der Fabrikant aus der Not der Menschen eben durch Neubenennung so Manches noch zu gutem Fleisch erklärte. Es bildete sich schnell am selben Tage eine aufgebrachte Menge, da man vermutete, die verfaulten Kadaver würden hier zu Sülze verarbeitet werden. So stürmten die Horden kurzerhand die Fabrik. Hier fanden sie nun zusätzlich zu allem Verdacht noch Berge weiterer Kadaver von Ratten, Hunden und Katzen, was die Empörung nicht minderte. Was die Menschen allerdings nicht wussten, diese Kadaver dienten der Verarbeitung in Leimfabriken und durften in Fleischfabriken durchaus gesammelt werden, allerdings fein säuberlich, hygienisch einwandfrei und räumlich getrennt. Was nun in dieser Fabrik genau und ausschließlich in die Sülze kam, konnte nie geklärt werden, der Fabrikbesitzer Heil entkam aber nur knapp dem Tode. Die Massen hatten kurzerhand zur Kleinen Alster verschleppt und hineingestoßen.

In den folgenden Tagen durchsuchten immer mehr Menschenmengen Fleischfabriken und fanden allzu häufig missliche hygienische Zustände und weitere Kadaver vor. Der Skandal der Fleischpanscherei verbreitete sich nun über ganz Hamburg und führte zu größter Wut und Entsetzen. Am Rathaus kam es nun zu ersten Eskalationen und ein Pranger mit Beschuldigten wurde aufgestellt. Die Rathauswache reagierte, Schüsse fielen, eine Handgranate explodierte. Und nun ging es richtig los! Reichswehrminister Noske schickte Generalmajor Lettow-Vorbeck mit Truppen in die Stadt, jene heut zweifelhafte Militärlegende, welcher aufs blutigste Aufstände niederschlug und in den Kolonien an Völkermord beteiligt war. Eben dieser Lettow -Vorbeck sollte den Aufstand in Hamburg aufs härteste beenden. Die aber dann doch weitaus entfernt von Krieg vor Ort ruhigeren Umstände überzeugten General und Truppen erst einmal zur Umkehr.

Das erste Unheil war abgewendet, aber weiteres sollte folgen…Der Protest vieler Hamburger hielt stand und so marschierten am 1. Juli 1919 Freikorps und die Reichswehrtruppen in die Stadt ein. Diese besetzten nun ganze Arbeiterviertel und machten in den Tagen häufig Gebrauch ihrer Waffen, besonders gegen Arbeiterführer und Parteifunktionäre. Die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs soll vielerorts in Hamburg von den Truppen gehisst worden sein. Zum Ende der Aufstände waren 80 Todesopfer zu beklagen. Anarchie und Schnelljustiz hatten Gesetz gehalten. Fabrikant Heil wurde im Oktober 1919 zu einer Geldstrafe und 3 Monaten Gefängnis verurteilt.

Allerdings hielt seine Reue nicht lang. Bereits zu Beginn des Jahres 1920 nahm er seine Geschäfte wieder auf und beantragte eine Erlaubnis zur Herstellung von Sülze aus gebrühten Kalbs-und Rinderkopfhäuten. Dieser Antrag verursachte allerdings ordentlich behördliche Aufregung. Der Antrag wurde abgelehnt, nicht aber aus weiter berechtigten lebensmittel-hygienischen Aspekten, sondern vom Chef der Sicherheitswehren Hamburg und dem Leiter der Sicherheitspolizei aus sicherheitspolitischen Erwägungen. So mogelte sich Heil in den weiteren Jahren mit dubiosen Panschereigeschäften in Berlin und Leipzig weiter durch. Erst sein Tod 1922 beendete diese unendlich scheinende Skandalgeschichte.

Und in Hamburg? Die Wogen der Sommertage 1919 glätteten sich nur langsam. Mit den Sülzeunruhen, die zum höchsten Politikum wurden, ist die junge Republik nur knapp einer Revolution entgangen.

 

Für Euch recherchiert und aufgeschrieben von Guru Antje.